BAUDRANG

Von meinem Hotelfenster aus ...

An diesem Frühlingsmorgen des 5. Mai 2019 saß ich am Fenster meines Hotelzimmers in Fuschl bei Salzburg, einem hübschen Ort mit Blick auf einen kleinen See, und bemitleidete mich ein wenig. Eigentlich hatte ich vor, den ganzen Tag in Salzburg zu verbringen und auf den Spuren von Fürsterzbischof Merk Sittich IV. von Hohenems (1574–1619) zu wandeln. Doch die Natur hatte andere Pläne. Am Abend zuvor hatte es angefangen zu schneien und die Nacht hindurch fortgesetzt zu schneien bis zum Morgengrauen. Ich war komplett eingeschneit. Was sollte ich tun? Vielleicht ein paar Notizen machen, um die Erlebnisse der letzten Tage festzuhalten? Schließlich näherte sich unsere „Brüderreise” seinem Ende zu, auch wenn ein Teil der Emser Geschichte noch zu dokumentieren war.

Am 3. Mai, nach fünf Tagen voller intensiver Reiseeindrücke, hatten mich meine Brüder am Flughafen Klagenfurt abgesetzt. Sie waren daraufhin in die Oststeiermark zurückgekehrt, während ich mit eigenem Mietwagen eine gemächlichere Reise nach Norden unternommen hatte, ins Salzkammergut, an der Grenze zu Bayern. Alte Freunde hatten mir dort ein Zimmer in Fuschl am Fuschlsee reserviert.

Am folgenden Tag hatten meine Freunde eine großartige Party in einer alten Mühle veranstaltet, die zu einem Restaurant und Festsaal umgebaut war. Die Familie König – ist das nicht ein passender Name, wenn man das Thema unserer Reise bedenkt? – hatte Grund zum Feiern: Beide Ehepartner hatten das „reife“ Alter von 65 Jahren erreicht, aus meiner Sicht immer noch jung, und sie feierten ihren 40. Hochzeitstag. Außerdem waren beide in den Ruhestand getreten. Die Feier und die ausgelassene Stimmung waren intensiv, das kann ich Ihnen sagen. Alicja König brachte mich sogar dazu, wieder zu tanzen – was ich seit Ewigkeiten nicht mehr getan hatte. Freunde und Verwandte waren von nah und fern gekommen. Es wurden fröhliche Reden gehalten und ein buntes Gemisch aus Deutsch, Polnisch, Französisch und Österreichisch gesprochen.

Das Königpaar wird beim großen Fest gekrönt"

Ich hatte Großes vor für den nächstfolgenden Morgen, wie bereits erwähnt. Einer der notablen Emser, Fürsterzbischof Markus Sitticus (Merk Sittich) IV. von Ems, Bruder von Reichsgraf Kaspar (Grandiose Erwartungen), hatte sich Anfang des 17. Jahrhunderts in Salzburg eine prächtige Residenz erbaut: das berühmte Schloss Hellbrunn. Seine Berühmtheit hat es vor allem einem originellen Park mit jeux d'eau (Wasserspielen) zu verdanken, auf den ich mich sehr gefreut hatte. Aber was tun, wenn die Straßen verschneit und mit Sommerreifen kaum zu befahren sind, und die Wasserspiele sicher eingefroren? Und ich hatte nur diesen einen Tag Zeit! Am nächsten Morgen sollte ich schon nach Wien eilen, um den Flug heim nach Stockholm nicht zu verpassen. 

Eigentlich tat es mir leid, die Emser-Reise schon beendet zu sehen. Bisher hatte sich herausgestellt, dass es viel mehr Orte gab, die mit dem Haus Ems in Verbindung standen, als wir uns zum Reisebeginn in unseren kühnsten Träumen hätten vorstellen können. Allmählich dämmerte mir, dass unsere Erkundungen auch über diese Reise hinaus weitergehen sollten. In Zukunft würden weitere Ausflüge notwendig sein, um beispielsweise die Wasserspiele in Salzburg, die Schätze des Palazzo Altemps in Rom oder die Sammlung von Emser-Porträts in Bistrau zu bewundern und ... und ...

Meine Überlegungen über zukünftige Reisen wurden jedoch unterbrochen, als ich am Nachmittag einen Anruf von Alicja König erhielt. Hätte ich Lust, einen kurzen Ausflug nach Salzburg zu machen, um dort einige Sehenswürdigkeiten zu besichtigen, da der Schnee schon am Schmelzen war? Natürlich hatte ich das, und so machten wir uns auf den Weg! Glücklicherweise hatte es inzwischen aufgehört zu schneien, und die Stadt hieß uns willkommen, auch wenn sie nach dem Sturm noch nass war und sich am späten Nachmittag in grauem Nebel hüllte.

Schloss Mirabell   Auszug aus Panorama der Stadt Salzburg
Künstler
: Sattler (1829)   Quelle: Panoramamuseum Salzburg

Unser erstes Ziel war nicht Hellbrunn, sondern das Schloss Mirabell mit seinem frühbarocken Garten. Im Gegensatz zu Hellbrunn lag es in der Stadt und eignete sich daher besser für einen kurzen Besuch. Es wurde 1606 von Erzbischof Wolf Dietrich von Raitenau (1559–1617), dem Cousin und Vorgänger Merk Sittichs, als Wohnsitz für seine Geliebte erbaut, mit der er 15 Kinder zeugte. Seinen Namen erhielt es jedoch von Merk Sittich, der die heikle Verbindung des Baus zu einer unehelichen Beziehung auslöschen wollte

Auf der anderen Seite des Flusses, dem Schloss gegenüber, befinden sich der Residenzplatz und vor allem der Domplatz mit dem imposanten Dom. Die späte Stunde erlaubte keine ausführliche Besichtigung dieser Frühbarockkathedrale. Dennoch konnten wir den beeindruckenden Bau und die gesamte Gruppe illustrer Gebäude bewundern, die das Zentrum Salzburgs bilden und der Stadt den Beinamen „Rom des Nordens“ beschert haben: das erste barocke Ensemble nördlich der Alpen!

Beiläufig erwähnten meine Gastgeber, dass all diese Pracht von Wolf Dietrich von Raitenau erbaut wurde. Das gab mir zu denken. Gewiss erinnerte ich mich daran, dass er der Initiator des großen Bauprojekts gewesen war. Hatte er nicht die gesamte mittelalterliche Stadt abreißen lassen, um Platz für das moderne Salzburg zu schaffen? Hatte er nicht auch die Neue Residenz als Gegenpol zum prächtigen Dom erbaut? Ja, tatsächlich! Aber gleichzeitig schien es mir, als sei sein Nachfolger für die Errichtung des Doms, dem Juwel der Salzburger Architektur, verantwortlich gewesen. Da ich mir nicht sicher war, wer genau was gebaut hatte, beschloss ich, dieser Frage später nachzugehen. Nach einem letzten bewundernden Blick auf den Residenzplatz kehrten wir zum Hotel in Fuschl zurück.

Fürsterzbischof Wold Dietrich von Raitenau
Künstler: Custos (1597)   Quelle: Universitatsbibliothek Salzburg

Wieder in Stockholm angelangt habe ich mich dann näher mit dem Thema beschäftigt. Dabei stellte sich heraus, dass sowohl Wolf Dietrich als auch Merk Sittich IV. an der Errichtung der Kathedrale beteiligt waren. Darüber hinaus hatte aber auch Paris von Lodron (1586–1653), ihr Nachfolger, seine Hand im Spiel.

Wolf Dietrichs Beitrag war der des großen „Abreißers“. Seit Beginn seiner langen Herrschaft als Fürsterzbischof von Salzburg (1584–1612) hegte er den Ehrgeiz, seine Hauptstadt von einer mittelalterlichen Kleinstadt in eine prächtige Residenzstadt umzuformen, welche der Rolle Salzburgs als Zentrum eines bedeutenden Fürstentums gerecht wurde. Er begann schon 1595 mit dem Bau der Neuen Residenz. Seinem Streben nach weiteren Neuerungen standen jedoch mehrere Hindernisse im Weg: vor allem die mittelalterliche Bebauung mit Bürgerhäusern rund um den Dom und ein weitläufiger Friedhof, der sich an einer Seite der Kirche erstreckte.

Das mittelalterliche Salzburg
Künstler: Wolgemut (1493)   Quelle: Schedelse Weltchronik, Universitätsbib. Heidelberg

Zu seinem „Glück” brach in der ehrwürdigen romanischen Kathedrale ein Brand aus. Die dadurch entstandenen geringfügigen Schäden am Dach hätten leicht repariert werden können. Der tatkräftige Erzbischof ordnete jedoch sofort den vollständigen Abriss des jahrhundertealten Gebäudes sowie die Zerstörung von etwa 50 umliegenden Häusern an. Sogar der Friedhof wurde aufgelassen. So entstand eine klaffende Bresche in der Stadtmitte, die nur darauf wartete, mit prächtigen neuen Bauwerken gefüllt zu werden!

Zu diesem Zweck berief Wolf Dietrich den italienischen Architekten Vincenco Scamozzi (1548–1616), den er schon 1580 während seines Aufenthalts in Rom kennengelernt hatte, nach Salzburg. Dieser Architekt, der eher Gelehrter und Lehrer als Kirchenbauer war, entwarf für ihn eine Kathedrale, die die größte nördlich der Alpen geworden wäre. Ihre Planzeichnung erinnerte eher an die venezianische Renaissance als an den damals in Italien vorherrschenden klassischen Stil. Doppelt so groß wie die Markuskirche in Venedig und mehr als halb so groß wie der Petersdom in Rom, hätte dieses monströse Bauwerk die Bresche in der Innenstadt vollständig ausgefüllt und die bereits entstandenen, prächtigen neuen Gebäude verdrängt!

Seine Vision war übergroß!   Vincence Scamozzi
Künsstler: Veronese (1585)   Quelle: Denver Art Museum

Langsam begann Wolf Dietrich zu begreifen, dass dieses Monumentalgebäude seinen Frühstückstisch überschatten würde. Die bereits gelegten Fundamente wurden wieder abgerissen und der Erzbischof beschloss, die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen. Er skizzierte einen Plan für die Kirche, die in etwa der Ausrichtung von Scamozzis Entwurf entsprach, jedoch besser proportioniert war. Anschließend machte er sich an die Arbeit. Nicht persönlich, versteht sich; er beauftragte einen jungen Mann aus Italien als seinen Baumeister. Hätte sich Wolf Dietrich durchgesetzt, könnte Salzburg heute eine Renaissancekathedrale vorweisen, die sich gut in die Stadtmitte eingefügt hätte. Leider wurde der „Architektbischof” bald darauf, im Jahr 1612, abgesetzt, sodass der Bauprozess bei den Fundamenten stecken blieb.

Der neue Erzbischof Merk Sittich beeilte sich, die Baustelle zusammen mit dem Baumeister zu besichtigen und sich über den Stand der Arbeiten beraten zu lassen. Dabei wurde ihm klar, dass der junge Mann keineswegs nur ein gefügiger Handwerker, sondern ein äußerst begabter und vielversprechender Architekt war. Sein Name war Santino Solari (1576–1664). Er verfügte bereits über umfangreiche Bauerfahrung aus Italien und war bestrebt, den vorherrschenden Baustil der Renaissance zu erneuern. Der Erzbischof war beeindruckt und bat ihn, Rathenaus Fundament wieder abzureißen und nach seinen eigenen Ideen einen neuen Entwurf für die Kathedrale vorzulegen.

Der Dom und sein Architect (Santino Solari)
Künstler: Danreiter (1735)                                       Künstler: Unbekannt
Quelle: Universitätsbibliothek Salzburg              Quelle: Dommuseum Salzburg

Der Rest ist Geschichte: Die Kirche behielt ihre ursprüngliche Ost-West-Ausrichtung und wurde in etwa derselben vernünftigen Größe wie ihr mittelalterlicher Vorgänger konzipiert. Diese gut geplante Kathedrale inmitten eines harmonischen Ganzen aus Freiflächen und Prachtgebäuden sollte die beherrschte Macht des Fürstentums unterstreichen, was die von Scamozzi gezeichnete Version nie hätte erreichen können. Ihr Stil war jedoch revolutionär. Sie orientierte sich stark an der Gestaltung des Petersdoms in Rom und wurde durch zusätzliche Rundungen und Verzierungen noch verfeinert. So stellte sie das erste Beispiel des frühbarocken Baustils in Deutschland dar – und wohl das schönste seiner Art.

Der Dom ist schon halbfertig
Künstler: Mascagni (1618)     Quelle: Magistrat Salzburg

Merk Sittich sollte die Fertigstellung nicht mehr erleben da er bereits 1619 starb. Der Architekt blieb jedoch vor Ort und sorgte dafür, dass das Projekt wie geplant fortgesetzt wurde. Zum Zeitpunkt des Ablebens des Erzbischofs standen die Außenmauern bereits und das Dach war teilweise gedeckt. Allerdings musste die Kuppel noch gebaut werden. Es blieb seinem Nachfolger, Paris von Lodron, überlassen, Merk Sittichs und Solaris' großartiges Bauunternehmen zu vollenden.

Drei Fürsten erschufen das barocke Salzburg
Initiator                          Creator                          Perfector

Wir staunen über die drei großen Salzburger Fürsten, die es trotz ungünstiger Umstände schafften, dieses großartige Kunstwerk aus Stein zu Stande zu bringen. Die beiden ersten waren Emser, einer davon mütterlicherseits. Noch erstaunlicher ist jedoch, dass der Dom zu einer Zeit fertiggestellt wurde, als der Rest Deutschlands während der großen Umwälzungen des Dreißigjährigen Krieges in Flammen stand. Der Salzburger Dom war das einzige große Bauprojekt nördlich der Alpen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts!

Salzburger Domplatz      Quelle: SF/AF


Bella gerant alii; aedificat Salczburga felix!

Während andere Krieg führen, ist das glückliche Salzburg am Bauen!



Kommentare

  1. Vielen Dank für deine Geschichte, Emil
    Wie immer bewundere ich die excellente Ausführung deiner Arbeit
     
    Das weckt die Frage: kommt deine Inspiration aus der Vermarkungsphilosophie des Hohenemser Palastes?

    “In einem harmonischen und persönlichen Ambiente zu leben, wird nur dem gelingen, der den Wunsch hat, sich bei der Gestaltung seines Lebensraumes und seiner Einrichtung auf sich selbst einzulassen. Seine Persönlichkeit, seine Ansprüche und Bedürfnisse, seine Wünsche und Fantasien zu entdecken und zum Ausdruck zu bringen.
    Die persönliche Begegnung, Begleitung und Betreuung und der Wunsch, Ihre Einzigartigkeit durch unsere Einrichtungen lebendig werden zu lassen, stehen bei uns an erster Stelle.“

    Leider lassen die Portugiesen es nicht zu, mich ein Palast errichten zu lassen, trotz der perfekten Lage meiner Ruinen. Bin nunmehr in der dritten Anpassung meiner Baupläne, in der Hoffnung, doch noch etwas zu errichten vor meinem Ableben.

    Mit Herzlichem Gruß,
    Michael

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  2. Vielen Dank, ihr Emser! Ihr habt uns auf verschlungenen Wegen in die
    wunderbare Stadt zwischen den hoch aufragenden Alpen und der grünen
    Ebene auf der Nordseite geführt. Markus Sittikus ist einem Österreicher
    ein bekannter Begriff. An das "Hohenems" danach konnte ich mich
    höchstens nebenbei erinnern.

    Ich bin schon neugierig auf den nächsten Emser-Bericht,

    mit freundlichen Grüßen
    Friedl

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  3. Schönes, Gutes und Wahres ist bei all diesem historischen ins Gedächnis-rufen zu spüren. Aber auch das allzu Menschliche. Was hat unser Christentum Großes geschaffen, aber gleichzeig angestellt. Also lieber Emil, herzlichen Dank für Deine jüngste Literatur, und wir akzeptieren keine Sippenhaftung. Dein Heinz, gegenwärtig aus Schonen

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  4. Lieber Emil,
    Leider ist mir der Salzburger Dom unbekannt, nun ist aber meine Neugier erweckt worden, ihn in nicht allzu ferner Zukunft kennenzulernen. Vielen Dank für deine geschickte und ausführliche Schilderung des Entstehens und der Schwierigkeiten bei dem Bau des Domes. Alle die Beteiligten verdienen natürlich ihren Ruhm, und wenn ich hoffentlich einmal vor dem Dom stehe, wird mir klar werden, was für eine komplizierte Geschichte dahintersteckt.
    Viele Grüße
    Eva

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