DER LANDESHERR
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Reichsgraf Kaspar von Hohenems mit Gemahlin Auszug eines Gemäldes Künstler: unbekannt Quelle: Palast Hohenems |
Das Wort „Landesherr“ hatte in früheren Zeiten einen besonderen Klang. Wir kommen dem nahe, wenn wir es mit „Herrscher seines Territoriums“ ausdeuten, aber das erfasst seine volle Bedeutung nicht. In Königreichen wie England und Frankreich zur Zeit des Barock gab es nur einen solchen Herrscher: den König. Nicht so im (damals) einzigen Kaiserreich der Christenheit, dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Dieses Reich war kein konsolidierter Staat wie die oben genannten Königreiche. Es war vielmehr eine lose Vereinigung fast eigenständiger Territorien mit einem Kaiser, der in erster Linie eine Galionsfigur war – nicht unähnlich der Europäischen Union, jedoch lockerer zusammengefügt als selbst dieses moderne Konglomerat halbsouveräner Staaten.
Johann Jacob Moser, ein ehemaliger Professor für Rechtswissenschaften, brachte es auf den Punkt, als er Folgendes feststellte: „Teutschland wird auf teutsch regiert, und zwar so, dass sich kein Schulwort oder wenige Worte, oder die Regierungsart anderer Staaten dazu schicken, unsere Regierungsart begreiflich zu machen“ (Teutsches Staatsrecht [1737]).
Grob gesehen gab es im Reich zur Barockzeit etwa 300 nahezu eigenständige Territorien, die jeweils von einem eigenen Landesherrn regiert wurden. Diese herrschten absolut über ihre Untertanen und hatten die volle Gerichtsbarkeit über sie, es sei denn, sie hatten den Ständen gewisse Selbstverwaltungsrechte eingeräumt. Das Reich an sich wurde zwar vom Kaiser regiert, doch hatten alle Landesherren ein Mitspracherecht bei den Reichsangelegenheiten, die vor allem die (sehr begrenzte) Besteuerung, die Kriegsführung sowie die Bereitstellung von Männern und Ressourcen für die jeweils neu konstituierte Reichsarmee betrafen (War er deren Kaiser?).
Auch wenn viele dieser Landesherren nur über erbärmlich kleine Gebiete herrschten, genossen sie doch den höchsten Status, den ein solcher in der Christenheit erreichen konnte. Das Reich war schließlich der Nachfolgestaat von Rom selbst, an dessen Spitze ein Kaiser stand, der als König der Könige weit über einfachen Herrschern wie Königen und Fürsten thronte. Und hatte nicht die vom Kaiser selbst verliehene und damit mit der Reichsunmittelbarkeit gesegnete Herrschaft den Inhaber in den Rang ausländischer Könige erhoben? Wir wollen nicht übertreiben, aber es ist eine Tatsache, dass zumindest einer dieser Landesherren tatsächlich ein König (von Böhmen) war und den benachbarten Königen gleichgestellt.
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Die Adelshierarchie des Heiligen Römischen Reiches Aufschlag aus Schedel [1493], Nürnberger Chronik Quelle: Bayerische Staatsbibliothek |
Selbst diese erhabene Gruppe von Potentaten war in Statusklassen eingeteilt. An der Spitze standen die Kurfürsten, die sich aus drei Fürsterzbischöfen, einem König (von Böhmen), einem Herzog (von Sachsen), einem Pfalzgrafen (bei Rhein) und einem Markgrafen (von Brandenburg) zusammensetzten. Ihr exquisiter Status zeigte sich darin, dass sie mit „Königliche Hoheit” angesprochen werden mussten. Im obersten Beschlussorgan des Reiches, dem Reichstag, bildeten sie die Kammer der Kurfürsten. Unter ihnen fanden sich die „gewöhnlichen“ Fürsten: die Fürstbischöfe, die Herzöge und die Markgrafen sowie andere gräfliche Hoheiten alter Abstammung. Sie wurden mit „Durchlaucht“ angesprochen und bildeten die Kammer der Reichsfürsten. In dieser hatten sie jeweils eine Stimme.
Eine Stufe darunter finden wir die zahlreichen niedrigen Eminenzen, die dennoch zum Hochadel zählten. Zu dieser Gruppe gehörten die Reichsgrafen und Fürstäbte. Ihre Anrede lautete „Erlaucht“. Die Grafen hatten in der obgenannten Reichsfürstenkammer als Gruppe vier Stimmen, die Äbte dagegen nur drei.
Leser, die mit dem Treiben der Menschen vertraut sind, werden nachvollziehen können, dass es immer wieder zu einer gewissen Standesrotation zwischen diesen drei adligen Schichten kam. Ein Aufstieg in den Rang der Kurfürsten war in der Regel nicht möglich, es sei denn, man erbte oder erwarb das Gebiet, über das sie herrschten, oder wurde zum Erzbischof ernannt. Der Status eines (weltlichen) Reichsfürsten war dagegen für Reichsgrafen erreichbar. Dennoch gelang es nur selten einem dieser niederen Adligen, sich derart zu erhöhen.
Stellen Sie sich vor, Sie wären ein junger Reichsgraf, der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts geboren wurde. Was müssten Sie aufweisen, um eine nennenswerte Chance zu haben, in den Fürstenstand aufzusteigen? Bitte bedenken Sie dabei, dass der Kaiser nur den Vorschlag für eine solche Erhebung machen konnte; die endgültige Entscheidung wurde von der Fürstenkammer im Reichstag getroffen.
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Isabella von Parmas festlicher Einzug in Wien, organisiert und finanziert von Josef Wenzel von Liechtenstein Künstler: van Meytens (1763) Quelle: Schloss Schönbrunn |
Erstens ist Ihr Stammbaum von großer Bedeutung. Genauso wie das alte Geld von heute darauf bedacht ist, die „Neureichen“ aus seinem sozialen Umfeld fernzuhalten, hasste der altehrwürdige Adel es, Emporkömmlinge in seinen Reihen zu sehen. Eine ehrwürdige Ahnenreihe ist natürlich sehr förderlich. Jedoch kann eine Verschönerung Ihrer Residenz, die wie ein herzoglicher Palast mit allem Drum und Dran aussehen soll, zumindest den Anschein von nobler Herkunft erwecken. Zudem können Sie Ihren Schreiber damit beauftragen, eine Chronik Ihrer Abstammung zu erstellen, die edle Vorfahren aus dem Nichts hervorzaubert, soweit diese nicht durch echte Urkunden belegbar sind.
Zweitens muss Ihr Familiengut eine gewisse Größe haben. Wenn Sie beispielsweise eine Reichsgrafschaft besitzen, die man in wenigen Stunden durchwandern kann, reicht das sicher nicht aus. Um Ihren Anspruch auf reichsfürstliche Herrschaft zu untermauern, ist mindestens die Größe des heutigen Liechtensteins erforderlich.
Drittens müssen Sie dem Kaiser so bedeutende Dienste erweisen, dass sie für Ihn unentbehrlich werden: Entweder direkt, indem Sie beispielsweise Schlachten für ihn gewinnen, ihm dabei helfen, seinen Bruder vom Thron zu verdrängen oder seine Trauungsfeier zu finanzieren; oder indirekt, indem Sie beispielsweise einem Potentaten nahestehen, dessen Unterstützung der Kaiser anstrebt.
Viertens – und das ist eine Grundvoraussetzung – muss Ihr Reichtum immens sein. Denn nur so können Sie Ihre Dienste für den Kaiser finanzieren und die Gunst der Fürstenkammer gewinnen, um genügend Stimmen für Ihre Erhebung zu erreichen.
Ein zu esoterisches Thema für diesen Blog, könnte man meinen. Dennoch müssen wir es berühren, um uns in das Leben und Streben eines Adligen aus der vierten Generation der neuzeitlichen Emser hineinzuversetzen. Es geht um den Urenkel von Merk Sittich I., Enkel von Wolf Dietrich und Sohn von Jakob Hannibal I. von Ems. Er fühlte sich dazu berufen, das zu erreichen, wofür seine Vorfahren den Boden bereitet hatten, was ihnen aber bisher verwehrt geblieben war: die erbliche Reichsfürstenwürde des Heiligen Römischen Reiches. Fürwahr ein hehres Ziel für diesen Herrn der Emser Reichsgrafschaft, einem kleinen Territorium im Norden des Alpenrheins!
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Reichsgraf Kaspar von Hohenems Künstler: Kilian (1618) Quelle: Schweizerisches Landesmuseum, Zürich |
Man könnte dies als eitlen Ehrgeiz abtun. Doch unser Adliger hätte nicht so gedacht. Er hätte diesen edlen Rang vielmehr als sein Geburtsrecht betrachtet, bedenkt man die Stellung seiner Vorfahren. War nicht sein Großonkel Papst und zwei seiner Onkel Kardinäle, von denen einer sogar kurz nach seinem Ableben heiliggesprochen wurde? War sein Vater nicht schon ein Fürst, wenn auch nur als Grande im Königreich Spanien? Erlauben Sie mir, Ihnen diesen Adeligen mit solch exquisitem Stammbaum namentlich vorzustellen: den Reichsgrafen Kaspar von Hohenems (1573–1640).
Wie bereits erwähnt, war Kaspar der Sohn von Jakob Hannibal I. (1530-1587), dem letzten der großen Emser Kriegsherren (Fortes fortuna adiuvat). Als Kleinkind eiferte er seinem kämpferischen Vater nach und tummelte sich immer wieder mit Spielzeugschwert und -bogen in der Festung Hohenems herum. Sein Vater, der meist auf Feldzügen unterwegs war, freute sich darüber sehr und ließ in Nürnberg zu hohen Kosten sogar eine Kinderrüstung mit angepassten Waffen anfertigen.
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Kinderrüstung Quelle: Schloss Ambras, Tirol |
Hortensia starb bereits 1578. Jakob Hannibal fügt sich ihrem letzten Wunsch und schickte sowohl Kaspar als auch seinen zwei Jahre jüngeren Bruder Merk Sittich IV. (1575–1619) nach Mailand, um sie unter der fürsorglichen Obhut von Carlo Borromeo erziehen zu lassen. Wie wir schon wissen, war dieser Onkel Erzbischof in der prächtigen Hauptstadt der Lombardei. Vielleicht hegte der Vater die Hoffnung, dass wenigstens sein jüngster Sohn, Wolf Dietrich II. (1577–1604), einmal in die Rüstung hineinwachsen würde. Vergeblich, wie sich herausstellen sollte.
Die beiden älteren Brüder besuchten in Mailand das renommierte Collegio dei Nobili, eine vorzügliche Schule zur Ausbildung junger Adliger. Kaspars Vater war jedoch bemüht, die Erziehung Kaspars auch seinerseits zu fördern, und unternahm mit ihm eine „Grand Tour“. Im Jahr 1584 holte er ihn in Mailand ab und reiste mit ihm über Genua nach Spanien, um dem Königshof in Madrid einen Besuch abzustatten. Jakob Hannibal hatte dort etwas zu erledigen, denn die Krone schuldete ihm und seinen Landsknechten die stattliche Summe von über 270.000 Gulden für den letzten Feldzug in den Niederlanden (Fortes fortuna adiuvat). Leider blieb die Zahlung aus – so erhielt der junge Sohn eine wichtige Lektion über die (Un-)Vertrauenswürdigkeit von Herrschern.
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Divertissement am Hofe Philipps II. in Madrid Künstler: Mussini (1871) Quelle: San Donato Museum, Siena |
Als die beiden nach Mailand zurückkehrten, konnten sie zu ihrer Bestürzung und Trauer Onkel Carlo gerade noch auf seinem Sterbebett aufsuchen. Kaspar erhielt einige letzte Segenssprüche ins Ohr geflüstert, was einen bleibenden Eindruck bei dem ernsthaften Jungen hinterlassen sollte. Er blieb noch bis 1587 am Collegio in Mailand und immatrikulierte danach an der Universität von Siena.
Doch seine Bestrebungen, an dieser gelehrten Institution solide juristische Kenntnisse zu erwerben, scheiterten. Im Dezember desselben Jahres starb sein Vater unerwartet im Alter von nur 57 Jahren und Kaspar wurde Haupterbe der väterlichen Reichsgrafschaft. Die folgenden Jahre waren eine schwierige und heikle Zeit für das neue Familienoberhaupt. Zwei Schwestern mussten mit einer testamentarisch vorgeschriebenen Mitgift verheiratet werden, eine dritte sollte „mit Jesus vermählt“ werden. Auch drohte eine Erbteilung: Ein Vetter zweiten Grades, Hans Christoph von Ems, besaß bereits die Emser Herrschaften nördlich von Hohenems (Lustenau, Wildau und Haslach) und Kaspars beide jüngeren Brüder, Merk Sittich IV. und Wolf Dietrich II. hatten berechtigten Erbanspruch auf Hohenems und Gallarate.
Zum großen Glück des 14-Jährigen trat sein Onkel, Kardinal Merk Sittich III. von Hohenems, als sein Mentor ein. Dieser Krösus unter den Kardinälen legte großen Wert darauf, sein Mündel in der Kunst der Verwaltung und Vermehrung eines adeligen Vermögens zu erziehen. Sie trafen sich nur selten persönlich, doch ein reger Briefwechsel zwischen den beiden, der noch erhalten ist, zeugt von dem großen Einfluss, den der wohlhabende Vormund auf seinen Schützling ausübte. Ihm ist es zu verdanken, dass alle Mitgiften vorschriftsmäßig ausgezahlt und die Besitztümer so verwaltet wurden, dass das Erbe nicht übermäßig abschmolz.
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Kardinal Merk Sittich III. von Ems, einer von Kaspars Vormündern Auszug aus dem Gemälde Hohenemser Festtafel Künstler: Boys (1578) Quelle: Městská galerie Polička |
Die Frage der Erbteilung war schwieriger zu lösen. Es hätte mit einer dauerhaften Teilung der Ländereien und einer Vergeudung des Vermögens enden können. Auch hier begünstigte Fortuna den jungen Knappen. Bruder Merk Sittich IV. wollte es seinem Namensvetter gleichtun und in der Kirche Karriere machen. Er verzichtete auf sein Erbe gegen ein ansehnliches, aber tragbares jährliches Stipendium. Wolf Dietrich II. hätte sein Drittel der Erbschaft unnachgiebig eingefordert und damit sicher Erfolg gehabt. Er starb jedoch schon 1604 im Alter von nur 27 Jahren, während er noch in Dôle in Burgund studierte. Bereits ein Jahr zuvor war Kaspars Vetter Hans Christoph ohne Erben gestorben. So konnte Kaspar sämtliche Emser Herrschaften an sich ziehen. Sein Weg zum Erfolg und Ruhm schien geebnet.
In den dreißig Jahren nach Kaspars Volljährigkeit herrschte am Alpenrhein wie in ganz Europa Frieden. Die Lombardei war nach den Großen Italienischen Kriegen unter spanische Herrschaft geraten und befriedet worden (Himmlisches Gönnen). Die Eidgenossen hatten sich endlich damit abgefunden, sich innerhalb des Alpen- und Oberrheins zu halten. Selbst der Achtzigjährige Krieg in den Niederlanden war unter der Herrschaft des Herzogspaares Albrecht und Isabella zu einem neunzehnjährigen Waffenstillstand gekommen. Auch das Reich befand sich nach dem Augsburger Religionsfrieden (1555) in fragiler Ruhe. Kaspar, der junge Adlige, erblühte in der Abwesenheit gewaltsamer Konflikte auf und entfaltete seine besten Fähigkeiten als frommer, friedliebender, sparsamer und überaus erfolgreicher Landesherr. Schritt für Schritt baute er auch seine Stellung im Reich aus, ohne sein großes Ziel jemals aus den Augen zu verlieren: die Erhebung des Hauses Ems in den Reichsfürstenstand.
Bereits im „reifen“ Alter von fünfzehn Jahren freundete er sich mit Erzherzog Ferdinand II. an, dem alternden Herrscher von Tirol und Vorderösterreich. Dies war gut bedacht, denn Kaspars Vater hatte den Herrscher so sehr verärgert, dass sogar eine Fehde zwischen den beiden drohte (Fortes fortuna adiuvat). Als erste Geste der Freundschaft gewährte er dem stets geldgierigen Grafen von Tirol ein Darlehen von 30.000 Gulden. Das erregte den Zorn von Kaspars Vormund, dem sparsamen Kardinal, der ihn streng ermahnte: „Du dummer junger Narr, leihe nie wieder einem Landesherrn Geld ohne Sicherheit!“. Doch Kaspar wusste genau, was er tat: Er hatte sich in die Dienste des Erzherzogs eingekauft und wurde bereits im Jahr darauf, 1589, als Kämmerer an den Innsbrucker Hof berufen.
Von da an gab es jedoch kein Geld mehr ohne Sicherheiten. Für weitere Vorstreckungen verlangte und erhielt er die beiden kleinen Nachbarherrschaften Neuburg und Montfort Tosters als Pfandlehen. Für Ferdinand den Verschwender war das gerade mal Trinkgeld. Der sparsame Kämmerer weigerte sich jedoch, größere Geldmittel zur Verfügung zu stellen, es sei denn, es würde ein angemessenes Pfand gewährt. Daraufhin versprach ihm Ferdinand, in der Hoffnung auf größere Summen, die Vogtei über die erste große habsburgische Grafschaft, die in Vorarlberg dafür frei werden würde. Leider starb er bereits 1595, ohne sein Versprechen einlösen zu können. Damit endete Kaspars Dienstzeit am Hof von Innsbruck. Desillusioniert vom oberflächlichen Glanz des herzoglichen Haushalts, der nur durch immer höhere Schulden aufrechterhalten wurde, beschloss er, sein Glück fortan als Landesherr daheim zu schmieden.
Der Tod des Tiroler Herrschers hinderte Kaspar nicht daran, seine territorialen Bestrebungen konsequent weiterzuverfolgen. Er war sehr darauf bedacht, den Nachfolger des Erzherzogs, Maximilian II., fortan an das Versprechen seines Vorgängers zu erinnern. Dennoch musste er mehr als zehn Jahre auf die Einlösung warten. In der Zwischenzeit widmete er sich dem Ausbau seiner Herrschaft Hohenems.
In seiner Vorstellung war er bereits Herrscher über den unteren Alpenrhein. Daher ist es nicht überraschend, dass er sich darum bemühte, sein kleines Hohenems in eine prächtige Residenz umzugestalten – die einzige „fürstliche" Residenz am gesamten Alpenrhein. So begann die „Gründerzeit“ der Emser: eine hektische Zeit der Bautätigkeit, die von 1604 an etwas mehr als zehn Jahre andauern sollte. Der von seinem Onkel, dem Kardinal, gestiftete Schlossrohbau wurde vollendet, stark vergrößert und verschönert; ein barocker Schlossgarten wurde gestaltet und darin ein Gästehaus sowie ein Gartenpavillon errichtet; und ein großer Tiergarten wurde angelegt, der sich bis zum Rhein hinunter erstreckte.
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Planzeichnung der Residenz Hohenems Aufschlag aus von Rottweyl [1616], Emser Chronik Quelle: Antiqua-Verlag (Facsimile) |
Bei diesem Baueifer wurde Kaspar maßgeblich von seinem Bruder Merk Sittich unterstützt. Dieser hatte inzwischen schon Karriere in der Kirche gemacht und besaß reichlich dotierte Pfründen in den Bistümern Konstanz, Augsburg und Salzburg. Wie sein Bruder hatte er ein starkes Interesse an der Verschönerung des Familienbesitzes, um seine eigenen fürstlichen Bestrebungen zu untermauern – so leistete er einen großen Beitrag zum Ausbau mit Eigenmitteln.
Die Siedlung Ems, die früher nur ein kleiner Weiler war, wurde auf Initiative des Bruders zu einem zeitgemäßen Markt aufgewertet. Nördlich der Kirche wurde eine lange schnurgerade Straße angelegt, nach Merk Sittich „Dompropsteigasse“ genannt. Handwerkern und Kaufleuten wurden dort unentgeltlich Bauplätze zur Verfügung gestellt, damit sie sich als freie Bürger des Marktes niederlassen konnten. Aus nah und fern folgten Kleinunternehmer dem Ruf, und schon bald herrschte auf Hohenems reger Geschäftsbetrieb. Sogar eine Papiermühle und eine Druckerei wurden gegründet – die erste Buchdruckerei am Alpenrhein überhaupt.
Damit dieser aufblühende Ort weiter gedeihen konnte, waren geeignete Finanzmittel erforderlich. Zu diesem Zweck lud der Graf auch eine jüdische Gemeinschaft ein, sich im Markt niederzulassen. Für dieses fremde Element in Hohenems wurde ein eigener Freibrief geschaffen, der ihr Selbstverwaltung sowie das Recht auf den Bau einer Synagoge, eines rituellen Bades, einer Schule und eines Armenhauses einräumte. Schon bald war diese Gemeinschaft im Emser Boden verwurzelt und wurde für die nächsten Jahrhunderte zu einem festen Bestandteil des Marktes.
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Freibrief (1617) zugunsten der neuetablierten jüdischen Gemeinschaft in Hohenems Quelle: Jüdisches Museum, Hohenems |
Auch Kultur und Bildung sollten gefördert werden. So wurde eine Lateinschule gegründet und die bereits von seinem Vater begonnene Residenzbibliothek stark ausgebaut. Auch der Fremdenverkehr wurde gefördert, indem ein bekanntes und altbewährtes Spa (Schwefelbad) in der Herrschaft erneuert und erweitert wurde. Insgesamt zeichnete sich der Graf dadurch aus, dass er seinen Besitz förderte, statt sich durch Kriege und Plünderungen zu bereichern. Damit war er seiner Zeit voraus, denn die Ära der aufgeklärten Herrscher sollte erst etwa ein Jahrhundert später anbrechen. Eine fürstliche Residenz hatte Kaspar somit schon geschaffen, allerdings noch ohne ein fürstliches Territorium. Der Erwerb eines solchen war sein nächstes Ziel.
Im Jahr 1607 erinnerte sich Maximilian II., Herrscher von Tirol, schließlich an das Versprechen seines Vorgängers und ernannte Kaspar zum Vogt einer seiner großen Grafschaften: Bludenz-Sonnenberg, einer Herrschaft im Südosten Vorarlbergs. Diese war allerdings keine ideale Ergänzung zu Kaspars Besitzungen, da sie weit von seinen eigenen Herrschaften entfernt lag und sich zudem als ziemlich störrisch zu verwalten erwies.
Sechs Jahre später ergab sich eine weitere Gelegenheit. Der finanziell angeschlagene Reichsgraf Karl Ludwig von Sulz (1560-1616) suchte dringend Käufer für seine Herrschaften Schellenberg und Vaduz. Es handelte sich um ein großes Territorium westlich von Bludenz-Sonnenberg, das fast die Hälfte des Niederen Alpenrheintals umfasste – den heutigen Staat Liechtenstein. Sowohl die Abtei St. Gallen als auch die Habsburger gierten schon nach diesem Gebiet und waren bereit, mindestens 220.000 Gulden dafür auf den Tisch zu legen. Der schlaue Kaspar schaffte es jedoch, seine Konkurrenten auszustechen, indem er sein Angebot mit einem Heiratsantrag an die Tochter des Besitzers verband. So kam es, dass er im Jahr 1613 die Ländereien für die günstigere Summe von 200.000 Gulden erwerben durfte und im folgenden Jahr Anna Amalia von Sulz (1593-1658) heiratete.
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Reichsgraf Karl Ludwig von Sulz, Präsident des Kaiserlichen Hofkriegsrates |
Aus wirtschaftlicher Sicht erschien der Erwerb kaum gewinnbringend. Die Einkünfte aus diesem Besitz beliefen sich lediglich auf knapp 6.500 Gulden pro Jahr. Sein Onkel, der Kardinal, hätte sich für ein solches Geschäft nicht eingesetzt! Doch dürfen wir die strategische Lage dieser Herrschaften nicht vergessen. Für die Habsburger hätte der Erwerb eine willkommene Abrundung ihrer Besitztümer in Vorarlberg und Graubünden bedeutet und ihre militärstrategische Lage am Alpenrhein erheblich verstärkt. Ein Kauf durch St. Gallen hätte dagegen einen ersten Vorstoß der Eidgenossen ins rechte Alpenrheintal zur Folge haben können – eine ernsthafte Bedrohung für alle Herrschaften diesseits des Rheins! Da dem Tiroler Herrscher Erzherzog Maximilian die nötigen Mittel zum Kauf fehlten, erwies sich Kaspars Erwerb als die nächstbeste Alternative auch für die Habsburger.
Doch was hatte Kaspar aus diesem Erwerb zu gewinnen? Einiges, wie sich bald herausstellte. Zunächst einmal zeichnete sich die Herrschaft Vaduz dadurch aus, dass sie eine Reichsgrafschaft war. Mit dem Erwerb wurde Kaspar quasi zweifacher Reichsgraf mit doppelter Stimmenanzahl in der Grafenbank und somit größerem Status und Einfluss im Reichstag. Ein weiterer Schritt zum ersehnten Fürstenrang! Zweitens konnte er fest mit der Gunst der Habsburger rechnen, denn sie waren nun noch stärker auf die Emser angewiesen, um ihre strategische Position am Alpenrhein zu bewahren. Und das ganz ohne militärische Abenteuer für den friedliebenden Emser Grafen! Er sah sich bereits als bedeutender „Friedensfürst”, der über ein für die Habsburger unentbehrliches Bollwerk, quasi einen Pufferstaat gegen potentielle feindliche Kräfte im Westen, herrschte.
Doch damit nicht genug! Der Reichsgraf hatte die Lehrsätze seines Kardinalvormunds noch fest im Gedächtnis. Jetzt galt es, aus dem Kauf auch ein gutes Geschäft zu machen! Die Gelegenheit dazu war bereits gegeben, nun ging es darum, sie auch zu nutzen.
Bereits seit der Zeit von Jakob Hannibal I. waren die spanischen Habsburger in ständige Konflikte in ihren niederländischen Besitzungen verwickelt. Truppen, Vorräte und Geld mussten fortan nach Norden transportiert werden. Der Seeweg von Spanien aus war bereits von den Engländern gesperrt worden. Als Alternative wurde die Spanische Straße (Camino Español) genutzt. Sie führte ursprünglich von Spanien über Genua, Mailand, Savoyen, die Grafschaft Burgund und schließlich das Herzogtum Lothringen in die Niederlande. Eine alternative Route führte über den Gotthardpass, durch die katholischen Eidgenossen, in den Breisgau und von dort den Rhein hinunter in die Niederlande. Doch schon 1510 wechselte Savoyen die Seite und verbündete sich mit Frankreich. Gleichzeitig begannen die Eidgenossen, den Durchgang zu verweigern.
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Kaspars Machtbereich am nördlichen Alpenrhein um 1614 |
Das brachte Graf Kaspar auf die glänzende Idee, den Spaniern einen neuen Transportweg vorzuschlagen: Er sollte von Mailand aus über den Splügenpass, an Chur vorbei und schließlich über den Luziersteig durch Vaduz/Schellenberg nach Norden führen. Die Spanier nahmen diesen Vorschlag gerne an, und fast fünfzig Jahre lang strömten Transporte mit Vorräten, Geld und Truppen durch Kaspars neue Besitzungen. Selbstverständlich mussten die Spanier eine angemessene jährliche Pension an den Reichsgrafen für die Nutzung seines Gebiets zahlen, von den Einkünften aus Verpflegung und Einquartierung der Reisenden ganz zu schweigen. Die Gesamteinkünfte aus diesem neuen Erwerbszweig waren ansehnlich – wenigstens in der damaligen Friedenszeit, mit der unser „Friedensfürst” auch langfristig rechnete. Leider sollte es in Zukunft anders kommen, wie wir noch erfahren werden.
Nachdem Kaspar durch diesen Kauf sein Territorium stark vergrößert hatte, bemühte er sich um die Abrundung seiner Besitze. In der unmittelbaren Umgebung von Hohenems lag die Grafschaft Feldkirch, ein habsburgisches Reichslehen. Falls dieses in seine Hände fallen würde, könnte er eine Landverbindung mit Schellenberg/Vaduz schaffen. Damit würde das gesamte rechte Alpenrheinufer nördlich des Luciersteigs unter seiner Kontrolle stehen. Dies umfasste auch den Anschluss an den Bodensee, was schon deswegen von Bedeutung war, weil der Alpenrhein gegen Süden damals (nur) bis Hohenems schiffbar war.
Es war nicht leicht, Feldkirch in seinen Bann zu ziehen. Kaspars finanzielle Lage war zu dieser Zeit alles andere als rosig, da er kürzlich für Schellenberg und Vaduz die enorme Summe von 200.000 Gulden ausgegeben hatte. An einen Kauf war also nicht zu denken. Aber wäre die Vogtei über Feldkirch vielleicht erreichbar? Könnte man sie durch Tausch mit der Vogtei über Bludenz-Sonnenberg erwerben? Erzherzog Maximilian II. war dem jedoch nicht zugeneigt. Seiner Ansicht nach hatte Kaspar die Verwaltung von Bludenz schlecht geführt. Auch die Stände von Feldkirch waren dem Reichsgrafen nicht wohlgesonnen, da sie sich noch an die harte Herrschaft seiner Vorfahren erinnerten, die als Vögte ihre traditionellen Rechte rücksichtslos missachtet hatten.
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Ein Kaiser ... ... und ein Fürsterzbischof Künstler: van Valkenborch (1583) Künstler: Mascagni (1612) Quelle: Schloss Ambras, Tirol Quelle: Salzburg Museum |
Doch Fortuna kam erneut zur Hilfe: 1612 erreichte Bruder Merk Sittich endlich sein höchstes Karriereziel: Er wurde zum Fürsterzbischof von Salzburg gewählt, eine der prestigeträchtigsten kirchlichen Befassungen des Reiches. Der Neuerkürte setzte sich bei dem auch gerade neugewählten Kaiser Matthias für Kaspars Forderung ein, und damit war die Frage entschieden: Die Vogtei Feldkirch fiel 1614 als vererbbarer Posten an die Emser.
Ausschlagsgebende Schritte auf dem Weg zur Rangerhebung waren somit getan. Man kann sich gut vorstellen, wie groß die Begeisterung im Emser Schloss gewesen sein muss. In den folgenden Jahren setzten der Graf und der Fürsterzbischof noch andere Maßnahmen in Gang, um das Haus Ems weiter zu verstärken und in den Fürstenstand zu erheben.
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Ich sehe, dass dieser Abschnitt fast von selbst weiterläuft und immer länger wird. Am besten legen wir hier eine Pause ein und kommen erst in den folgenden Beiträgen auf das dramatische Finale des Dramas zurück.
Lieber Emil!
AntwortenLöschenVielen Dank für deine ausführliche Schilderung deiner Vorfahren! So einen Friedensfürsten sollten wir auch heute haben, einen der mit anderen Ländern nicht immer Krieg führen wollte, sondern auch mal friedlich mit seiner Umgebung leben konnte.
Ich warte mit Spannung auf dem nächsten Abschnitt deiner Geschichte!
Viele Grüße
Eva
Seitdem uns geraten wurde, uns die Erde untertan zu machen, gibt es Kampf auf die verschiedensten Arten. Freuen wir uns über ruhige Orte, wie groß oder klein auch immer, und Momente des Friedens!
AntwortenLöschenFriedl
Lieber Emil, mit Deinen Erhebungen führst Du den Lesern wiederum eindrucksvoll ins Bewusstsein, dass Macht und Machtmissbrauch trotz Christentum nicht nur dem gemeinen Volk sondern auch den Machtausübern ein schweres Leben in unserer Heimat in der geschichtlichen Zeit bescherte. Dies gilt vor allem, wenn man sich die heutigen Vorarlberger Verhältnisse vor Augen führt.
AntwortenLöschenLeben bedeutet immer Herausforderungen, heute helfen aber Begriffe wie Demokratie und Menschenwürde, die es weiterzuentwickeln gilt!