DER KÖNIG IST TOT ...

Seite aus Heinrich Knoblocher (1488), Heidelberger Totentanz
Quelle
: Universitätsbibliothek Heidelberg

Diese düstere Seite aus einer Schrift, die ein Jahrhundert nach den Ereignissen veröffentlicht wurde, zeigt auf die größte Katastrophe, die die Zivilisation in den letzten anderthalb Jahrtausenden erlebt hat. Mitte des 14. Jahrhunderts glaubten die Menschen, die Welt würde untergehen. Der Schwarze Tod wütete in Eurasien und raffte Millionen von Menschen dahin. Seit Mitte des 6. Jahrhunderts und bis in die Neuzeit hat es keine vergleichbare Katastrophe mehr gegeben.

Im Vergleich zu dieser Heimsuchung erscheinen beide Weltkriege, sogar zusammengenommen, wie ein kleines Scharmützel. Die Zahl der Toten war erschütternd und stieg in ganz Eurasien auf fast 200 Millionen. In absoluten Zahlen entspricht dies zwar der Zahl der Opfer der beiden Weltkriege, aber die Gesamtbevölkerung war damals um ein Vielfaches geringer! In Europa starben innerhalb weniger Jahre bis zu 50 % der Bevölkerung. Niemand wurde verschont, weder arm noch reich, weder jung noch alt; alle wurden gnadenlos vom Sensenmann niedergemäht.

Die Welt ging nicht unter, aber das Mittelalter schon. Es dauerte zwar ein Jahrhundert, aber die Katastrophe wirkte sich auf alle Teile der Gesellschaft aus. Die Zivilisation brach nicht zusammen, wie es heutzutage der Fall wäre, mit einer ähnlichen Zahl an Todesopfern. Aber das soziale Gefüge wurde gelockert, was dem stationären System des Feudalismus mit seinem langsamen und stetigen Fortschritt ein Ende setzte.

Auszug aus Baseler Totentanz     Quelle: Historisches Museum Basel

Wie durchlebten die Emser diese schwierigen Zeiten? Es gibt kaum Unterlagen darüber, wie die Familie direkt von der Pest betroffen war, abgesehen davon, dass sie nicht vollständig verlöschte. Indirekt und auf die Dauer aber hat die Familie diese Katastrophe überraschend gut überstanden. Die noch existierenden Dokumente beziehen sich hauptsächlich auf Landkäufe und -verkäufe, sowie die Beziehungen der Familie zu ihrem Lehnsherrn in dieser Zeit. Darauf müssen wir bauen, wenn wir das Schicksal der Familie über zwei Jahrhunderte hinweg rekonstruieren wollen; zunächst in diesem Blog den Zeitraum vor der Katastrophe und dann im nächsten die ereignisreichen Jahre danach. 

Einen guten Ausgangspunkt dafür finden wir im Abschluss des vorhergehenden Blogbeitrags (Ars Gratia Artis). Wir erinnern uns daran, dass Rudolf von Ems, der „Hausdichter“, 1254 in Süditalien starb, ebenso wie der Stauferkönig Konrad IV. Mit Konrad erlosch die letzte starke Herrscherdynastie im Reich. Das hatte ein Machtvakuum zur Folge, das volle zwanzig Jahre anhalten sollte. Diese Periode wird als Das Große Interregnum bezeichnet.

Bild aus Martinus Oppaviensis (1460), Chronicon Pontificum et Imperatorum
Quelle
: Universitätsbibliothek Heidelberg

In dieser Zeit gab es in Deutschland de facto keinen Herrscher. Es wurden zwar Könige gewählt, meistens sogar zwei konkurrierende, aber sie hatten keinerlei Macht. Einige von ihnen machten sich nicht einmal die Mühe, nach Deutschland zu reisen, um den Thron zu besteigen. Stattdessen dominierten die Reichsfürsten, große Adelsdynastien, die über weite Teile des Reiches verfügten und in ihren Gebieten wie Souveräne herrschten (einer von ihnen wurde sogar als König tituliert, der Herrscher von Böhmen). Der Monarch des Reichs wurde von ihnen gewählt. Sie sorgten dafür, dass niemand ihresgleichen den Thron besteigen konnte, denn sie wollten ihre Machtstellung nicht einbüßen.

In Schwaben, wo es keinen regierenden Fürsten mehr gab – die Staufer als Könige und Herzöge von Schwaben waren ausgestorben –, war die feudale Machtverteilung aufgelöst. Im Norden Deutschlands war es ähnlich. Kleinere Adelsgebiete, Reichsstädte, und Bergregionen die von freien Bauern bewohnt wurden erkannten, dass sie ihre Oberhoheit verloren hatten. Daraufhin organisierten sie Verteidigungsbündnisse, die teilweise zu selbstverwalteten Regionen werden konnten. Beispiele hierfür finden sich in der Hanse im Norden, den Städtebünden in Schwaben und anderswo und nicht zuletzt in der Eidgenossenschaft in den Hochtälern nördlich des St. Gotthard-Passes, dem Vorläufer der heutigen Schweiz.

Die mächtigen Kurfürsten, in Codex Balduini Treverorum (1341)
Quelle: Landeshauptarchiv Koblenz

Am Alpenrhein ergriffen drei Grafendynastien, die herzoglos geworden waren, die Macht. Und sie beeilten sich, ihre Territorien zu vergrößern, indem sie sich eigenherzogliche Gebiete in ihrer Nähe aneigneten. So stärkten sie ihre Herrschaft und Einfluss erheblich: die Montforter (rechte Seite des Unterrheins), die Werdenberger (linke Seite des Unterrheins) und die Habsburger (westlich des Alpenrheins).

Wie wurden die Emser davon betroffen? Die Festung Hohenems war ein Glied des Perlbandes von staufischen Festungen entlang des Alpenrheins, die den Weg nach Italien kontrollierten. Als Sitz der staufischen Herzöge und verwaltet von den Emser Ministerialen lag sie wie eine Insel im Meer der Montfort-Besitzungen. Es überrascht daher nicht, dass die Burg bald von den Montfortern in Besitz genommen wurde, obwohl weiterhin verwaltet von den Emsern. Letztere hatten nichts den neuen Herren entgegenzusetzen, da sie ja keine Besitzansprüche an der Festung besaßen.

Wären die Emser Dienstmänner der Montforter geblieben, dann hätten sie zweifellos das Schicksal ihrer Herren geteilt, die schon hundert Jahre später von der Geschichtsbühne wichen (wobei die Habsburger den Hauptteil ihrer Besitzungen übernahmen).

Zum Glück betrat bald ein starker und schlauer Mann die Szene, der die machtgierigen Grafen am Alpenrhein aus dem Konzept bringen sollte. Es handelte sich um Graf Rudolf von Habsburg (1218-1291), selbst auch einer der gräflichen „Landräuber“ in der Region. Im Jahr 1273, als Rudolf gerade im Begriff war, die Stadt Basel zu belagern, um sie in Besitz zu nehmen, erreichte ihn ein Bote mit der überraschenden Nachricht, dass er zum König von Deutschland gewählt werden sollte. Eine der tanzenden Mäuse wurde zur Katze im Haus!

Rudolf zieht nach Basel
Seite aus Schilling (1485), Spiezer Chronik
Quelle
: Burgerbibliothek Bern

König Rudolf I. ging sofort ans Werk, um das Machtvakuum zu füllen, das während des Interregnums geherrscht hatte. Er konnte die Reichsfürsten davon überzeugen, dass es notwendig war, die Kontrolle über die enteigneten Gebiete wiederzugewinnen. Dies gelang ihm vor allem in zwei Regionen, im Südosten und Südwesten des Reiches.

Im Osten hatte Ottokar II. P?emysl (um 1232-1278), der König von Böhmen, die Herzogtümer Österreich, Steiermark und Kärnten sowie die Mark Cariola (insgesamt den größten Teil des heutigen Österreichs und Sloweniens) an sich gezogen. Nach mehreren Jahren des Konflikts setzte sich Rudolf in der Schlacht bei Dürnkrut (1278) durch und erlangte die Kontrolle über diese Gebiete. Sodann belehnte er seinen Sohn Albrecht mit den Herzogtümern Österreich und Steiermark und erhob damit die Habsburger in den Fürstenstand.

Im Westen hegte Rudolf den Plan, alle Territorien der Krone in Schwaben zurückzugewinnen und sie als Basis für die Wiedereinsetzung des Herzogtums Schwaben zu nutzen. Sein Sohn Rudolf sollte Herzog und verhoffter Nachfolger als König werden. Etwas voreilig verlieh er ihm bereits den Herzogstitel und machte sich daran, die verlorenen Gebiete mit Gewalt an sich zu reißen, wo immer dies nötig war. Die Montforter gehörten zu den Betroffenen und verloren erneut all ihre kürzlich "akquirierten" Besitztümer, einschließlich der Festung Hohenems. So wurden die Emser, ursprünglich herzogliche Dienstmänner, zu königlichen Ministerialen – sie verwalteten die Festung für den König in höchsteigener Person

Grabdeckel König Rudolfs I.
im Dom zu Speyer

Und nicht nur das! Rudolf, der dringend Geld für seine zahlreichen Feldzüge benötigte, scheute sich nicht davor, Darlehen von seinen Untertanen aufzunehmen. Die Emser waren dem König nur allzu gerne behilflich und liehen ihm die stattliche Summe von 100 Mark Silber, wobei sie die Herrschaft Hohenems als Pfand verlangten – und erhielten. Damit war der erste Schritt zur Standeserhöhung getan; die Emser waren fortan im Besitz einer Herrschaft, solange die Schuld noch nicht beglichen war.

Und diesen Besitz konnten sie behalten, da die Schuld weder von Rudolf noch seinen Nachfolgekönigen getilgt wurde. König Rudolfs Großplan war zum Scheitern verurteilt, da sein Sohn Rudolf frühzeitig starb und die Fürsten sich vehement weigerten, das Herzogtum Schwaben wieder einzusetzen. So vergingen die Jahrzehnte; Adolf von Nassau folgte Rudolf als König der Römer und Herr der Emser, nach ihm kamen Albrecht I. von Habsburg und Heinrich VII. von Luxenburg. Die Vogte der Burg Hohenems waren so ziemlich sich selbst überlassen.  Allmählich begannen sie, sich als Herren der Befestigung und der umliegenden Siedlung zu fühlen.

Angeblich die Schlacht bei Mühlheim
Bild aus Eschenbachs Willehalm    Manuskript von 1334
Quelle: Universitätsbibliothek Kassel

Doch ihre Stellung wurde prekär, als Heinrich VII. 1313 starb, nur fünf Jahre nach seiner Krönung. Die Fürsten wählten 1314 in ihrer Weisheit gleich zwei auf einmal als Nachfolger: den Wittelsbacher Ludwig den Bayern (1282-1347) und den Habsburger Friedrich den Schönen (1289-1330). Nun war guter Rat teuer: Auf wessen Seite sollten sich die Emser schlagen? Zum Glück entschieden sie sich für den Wittelsbacher – während die Montforter auf den Habsburger setzten. Der Kampf zwischen den beiden Kontrahenten blieb acht Jahre lang unentschieden, bis zur Schlacht von Mühlheim (1322), bei der Ludwig schließlich die Oberhand gewann.

Sechs Jahre nach der Schlacht wurde Ludwig zum Kaiser gekrönt. In der Folge dankte er den Emsern für ihre Treue, indem er Ulrich I. von Ems (um 1287-um 1356) im Jahr 1330 das Pfandlehen an Hohenems erneut bestätigte. Außerdem verlangte er von der Familie ein neues Darlehen von 1200 Mark Silber mit Hohenems als Pfand und gewährte ihnen dafür 1343 die Gerichtsbarkeit über die Pfandherrschaft. Er erhob sie außerdem in den Stand der Reichsritter.

Ludwig der Bayer auf dem Adlerthron
Quelle: Bayerisches Nationalmuseum

Außerdem hatte Ludwig bereits 1330 der kleinen Siedlung unterhalb der Festung das gleiche Stadtrecht bewilligt, das Lindau am Bodensee bereits erhalten hatte; doch unter der Bedingung, dass eine Stadtmauer gebaut würde. Die Emser bauten jedoch nie eine Mauer, vermutlich aus Angst, die Kontrolle über die Siedlung zu verlieren. Denn gemäß dem Stadtrecht hätte sie von einem unabhängigen Rat geleitet werden sollen.

Auch das zweite, größere Darlehen wurde von den Herrschern nie zurückgezahlt. Statt dessen belehnte König Sigismund der Luxenburger 1430 die Emser mit der Herrschaft Hohenems als volles Reichslehen. Damit gewährte er der Familie das Recht, sie als reichsunmittelbare Herren zu besitzen.

Ulrich I. (der erste Ritter) und seine Familie hatten ihren Edelstand gerade noch rechtzeitig erlangt. Bald danach bedrängte die Große Pest auch den Alpenrhein. Ulrich I. war der älteste von fünf Brüdern. Von ihnen starben drei im Jahrzehnt der Seuche, darunter auch Ulrich selbst. Doch hatte er fünf Söhne. von denen vier überlebten (Rudolf, Ulrich, Marquard und Eglof von Ems). Die Zukunft der neuen Reichsherren war damit gesichert, auch wenn die Lebensbedingungen weitaus schlechter standen als in den vergangenen Jahrhunderten. Eine Kälteperiode begann sich an Europa heranzuschleichen und verschärfte die Lage zusätzlich in Ländern, die bereits einen Großteil ihrer Bevölkerung verloren hatten. Eine "Kleine Eiszeit" brach über Europa herein und sollte, genauso wie die Pest, den Alpenrhein noch weitere vier Jahrhunderte heimsuchen. 

 -o-

Schließen wir diesen dramatischen Blogbeitrag im Gedenken der unzähligen Opfer ab, die in den 1350er Jahren den jähen Tod fanden. Sie sind längst verstorbene Zeugen der Überlegenheit der Natur über die Menschheit.

Requiescant in pace!

Zwei Seiten aus Schedels Weltchronik (1493)   Quelle: Bayerische Staatsbibliothek



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

ERLAUCHTER GLANZ

FORTES FORTUNA ADIUVAT

HIMMLISCHES GÖNNEN