ERLAUCHTER GLANZ


Drei Emser Brüder betrachteten sich in einem mindestens 400 Jahre alten Spiegel. Es war Montagnachmittag, der 29. April 2019. Wir standen in einem der Paradesäle von Schloss Hohenems, das vor rund 450 Jahren als einer der ersten Renaissancepaläste nördlich der Alpen erbaut wurde. Und nicht nur das: Es wurde als einziger Palast im Stil der italienischen Renaissance hierzulande berühmt und entstand als Residenz der Emser, nachdem diese 1560 zu Reichsgrafen von Hohenems erhoben worden waren. Das Lehen der Herrschaft Hohenems hatten die Emser schon lange vorher inne, denn sie sind bereits seit dem 12. Jahrhundert als Ansässige bekundet. 

Es war uns recht, dass wir im Spiegel etwas verschwommen aussahen. Schließlich waren wir nicht auf einem Selbstfindungstrip. Nein! Wie inzwischen klar sein sollte, war unser Ziel eher, mehr über das Schicksal des altehrwürdigen Geschlechts der Emser zu erfahren.

Die Nacht zuvor hatten wir in unseren Separées auf Rädern verbracht, die uns von Wien aus nach Westen befördert hatten. Im Gegensatz zu meinen Brüdern konnte ich bei dem ständigen „tong, tong" der Waggons kaum schlafen. Endlich, gegen 6 Uhr morgens, hatte ich genug und zog den Vorhang hoch, um zu sehen, ob die Sonne schon schien. Keineswegs! Wir näherten uns der Passhöhe des Arlbergs, der Grenze zu Vorarlberg, dem westlichsten Bundesland Österreichs. Doch statt Sonnenschein auf den Berggipfeln begrüßte mich ein heftiger Schneesturm, der die bereits frühlingsgrüne Erde unter einem weißen Teppich begrub. Und weiter schneite es, fast bis zu der Endstation in Feldkirch. Dort rieselte es den ganzen Morgen kalt herunter. 
 
Schwäbische Flammekueche

Also keine Zeit zum Bummeln, sondern gleich weiter zum Ort Hohenems, nördlich von Feldkirch gelegen. Den Vormittag verbrachten wir damit, ihn mit Hilfe eines ortskundigen Führers zu erkunden, wobei uns der ständige Nieselregen immer mehr zu schaffen machte. Zum Glück winkte uns ein nettes Lokal zum Mittagessen, es servierte schwäbischen Flammkuchen (eine Art Pizza). Dieses leckere Essen hob unsere etwas melancholische Morgenstimmung.
 
Nach dem Mittagessen machten wir uns auf den Weg zum Schloss Hohenems, für das Bruder Ludwig schon im Voraus eine Führung organisiert hatte. Es war ein imposanter Bau, etwas abseits des Stadtzentrums am Fuße eines Steilhanges gelegen, mit dem Marktplatz und der Stadtkirche auf seiner rechten Seite. Der Bau wurde bereits 1562 von Kardinal Merk Sittich III. von Hohenems (Himmlisches Gönnen) initiiert und von dem berühmten italienischen Architekten Martino Longhi entworfen und geleitet. Bitte beachten Sie, dass am Tag unseres Besuches kein Schnee fiel, sondern es nur nieselte; das hier gezeigte Bild wurde einige Winter vor unserem Besuch aufgenommen.
 
Der Palast Hohenems   Photograph: Friedrich Böhringer

Schon standen wir vor dem beeindruckenden Eingang des Palastes; da kam ein freundlicher Mann mit seinen Hunden auf uns zu. Zuerst hielten wir ihn für den Hausmeister der Residenz, der uns durch die Räumlichkeiten führen sollte. Zu unserer Überraschung entpuppte er sich jedoch als Seine Erlaucht Clemens Graf Friedrich von Waldburg-Zeil zu Hohenems, der derzeitige Gutsherr, der uns als seine "Namensvettern" mit offenen Armen empfing. Wir fühlten uns geehrt, von Seiner Erlaucht persönlich durch diese heiligen Hallen geführt zu werden.
 
Franz Clemens Graf von Waldburg-Zeit zu Hohenems kommt uns entgegen

Zu Beginn unserer Führung wunderte ich mich ein wenig über den Zusatz "Hohenems" im Namen des Grafen. War nicht der letzte Reichsgraf Franz Wilhelm III. von Hohenems 1759 ohne männlichen Erben verstorben? Und hatte nicht Kaiser Franz I. das Reichslehen zusammen mit dem Titel den Habsburgern übertragen? Ich wagte es, den Grafen diskret um Aufklärung zu bitten. Seine Antwort war ein faszinierender Vortrag über Feudalismus und Genealogie.
 
Zwar ging das Reichslehen mit dem Titel und den Rechten eines Reichsgrafen 1759 an die Habsburger über. Die sogenannten Allodialrechte der Familie blieben davon jedoch unberührt. Ihr Privatbesitz, vor allem der Grundbesitz mit den dazugehörigen Liegenschaften, den die Familie seit alters her besaß, war nicht an das Lehen gebunden. Dieser Besitz war natürlich auch an die weibliche Seite vererbbar, was 1759 von Bedeutung war, als Maria Rebecca (1742-1806)), das einzige Kind Franz Wilhelms, das Allodium erbte.
 
           Maria Rebecca       
geb. von Hohenems 
Durch Heirat wurde sie später Gräfin von Harrach-Hohenems. Ihre Tochter und wieder einzige Erbin Maria Walburga heiratete Clemens Alois Graf von Waldburg-Zeil, der nach der Heirat den Titel Waldburg-Zeil zu Hohenems annahm. Dabei ist es bis heute geblieben. Der Dynastie Waldburg-Zeil ist es also zu verdanken, dass dieser edle Name von Hohenems erhalten blieb, wenn auch nur als Zusatz.

Damit war sein Vortrag aber noch nicht zu Ende. Als die männliche Linie der Emser erlöschte, wurde das Lehen eingezogen und auf Kaiserin Maria Theresias Sohn Joseph II. zusammen mit dem Titel "Reichsgraf von Hohenems" übertragen. Von da an führte jeder (Habsburger) Kaiser bis zu Karl I. unter seinen zahlreichen Titeln auch den des "Grafen von Hohenems". Zum Beispiel: Wenn Kaiser Franz Joseph I. oder seine Gemahlin Elisabeth inkognito ins Ausland reisten, benutzten sie als Pseudonym oft "Graf/äfin von Hohenems". Graf Clemens zeigte mir stolz, dass seine Familie noch im Besitz einer diesbezüglichen "Carte de visite" des Kaisers ist. Die jeweils ältesten männlichen Nachkommen des letzten Kaisers von Österreich, Karl I., haben natürlich auch Anspruch auf diesen Titel.
 
Auch das ist noch nicht das Ende der Geschichte! Graf Clemens' Urgroßvater Clemens Maximilian war nämlich mit der Enkelin von Kaiser Franz Joseph I. verheiratet. Clemens ist somit auch der Großurenkel eines Reichsgrafen von Hohenems. In der Tat eine kaiserliche Linie!

Carte de visite Kaiser Franz Josephs I. bei seinen Inkognitoreisen

Zurück zu unserer Führung. Wir hatten das Glück, durch den gesamten Palast geführt zu werden, was Besuchern normalerweise nicht vergönnt ist, und waren beeindruckt von der Pracht der Anlage. Leider sind in den verschiedenen Sälen und Gemächern aufgrund mehrerer unglücklicher Ereignisse in der Vergangenheit nur wenige Gegenstände aus früheren Zeiten erhalten geblieben. 
 
Bereits 1647 gingen beim Einfall des schwedischen Generals Wrangel in den Alpenrhein viele Kostbarkeiten verloren. Später, im 18. Jahrhundert, ließ die Gräfin von Harrach-Hohenems die noch vorhandenen Kunstgegenstände, darunter alle Porträts und andere Gemälde, auf ihr Landgut in Bistrau (im heutigen Tschechien) bringen. Mitte des 19. Jahrhunderts diente das Schloss zwanzig Jahre lang als Militärkaserne, wodurch die Wanddekorationen zerstört wurden. Zum Glück für die Nachwelt entschloss sich der bereits erwähnte Graf Clemens Maximilian 1882, das Gebäude wieder zu einer würdigen Residenz der Dynastie Waldburg-Zeil zu Hohenems zu restaurieren.

Danach haben sich Graf Clemens und seine Vorfahren große Mühe gegeben, die Schlossräume so weit wie möglich wieder herzustellen, sie mit antikem Inventar auszustatten, alte Gemälde, wenn auch nur als Kopien, wieder an die Wände zu hängen und in den Paradezimmern Möbel aus der Zeit der ehemaligen Emser aufzustellen.
 

Noch erhaltene Dachzierden aus der Renaissancezeit!

Einige noch erhaltene Bauteile in den Paradesälen und Korridoren liessen uns die Pracht vergangener Zeiten erahnen. So sind die Decken mehrerer Säle in einzigartiger Weise seit dem frühen 17. Jahrhundert erhalten. Auch wenn man die Ledertapeten und Gobelins von damals vermisst, reicht es, den Kopf zu heben, um sich in die Zeit des Frühbarocks zurückversetzen zu lassen!
 
Erwähnenswert ist auch das Schlafzimmer des Grafen Kaspar von Hohenems (1573-1640) und seiner Gemahlin. Die Möbel dieses Zimmers sind zwar nicht original, aber zeitgenössisch. Auch die Porträts des Ehepaars sind Kopien der Originale, die noch heute in Bistrau aufbewahrt werden. Dennoch spürt man das Flair vergangener Zeiten, sorgfältig bewahrt von der neuen Besitzerdynastie.
 
Ein reichsgräfliches Schlafzimmer

Zum Abschluss unseres Rundgangs machte uns der Graf noch auf ein faszinierendes altes Gefährt aufmerksam, das in einem der Gänge des Schlosses steht. Wie er uns erklärte, handelt es sich dabei um einen Paradeschlitten, den schon Graf Kaspar  Anfang des 17. Jahrhunderts im Winter bei Veranstaltungen benutzte. Wir wagten es, den hölzernen Oldtimer mit unseren Fingern zu streicheln und ließen so eine über 400 Jahre alte Vergangenheit wieder aufleben.
 
Gräflicher Renaissanceschlitten

Wir waren sehr dankbar für die "erlauchte" Führung durch diese hochherrschaftlichen Räume. Zumal Graf Clemens uns nicht gehen ließ, ohne uns in seinem Empfangszimmer mit Kaffee und Avec zu bewirten. Der Graf ist leidenschaftlicher Hobbywinzer und bemüht sich, den alten Weinberg des Schlosses, der bereits in der Renaissance angelegt wurde, wiederherzustellen. Erste Erfolge sind bereits sichtbar, wie der ausgezeichnete Grappa zeigt, der uns serviert wurde. Die Erfrischung war sehr willkommen, da wir uns nach den Erlebnissen des Tages ziemlich erschöpft fühlten, wie man auf dem Bild sehen kann.
 

 -o-
 
Wir verabschiedeten uns vom guten Grafen, verließen die Anlage aber nicht sofort. Das Restaurant im Schlosskeller lockte, und wir ließen es uns nicht nehmen, dort einzukehren. Bei Tisch drängte sich uns die Frage auf, wie eine Adelsfamilie mit einem eher bescheidenen Besitz – selbst ich in meinem Alter könnte die alte Herrschaft Hohenems in einigen Stunden durchwandern – die Mittel für einen solchen Prunk aufbringen konnte. Die sich daraus ergebende Diskussion und die Antwort auf diese Frage könnte man am besten in einer kurzen Chronik dreier Emser Generationen zusammenfassen. Aber das überlasse ich lieber weiteren Blogbeiträgen, um Ihre Geduld, liebe Leser, nicht zu strapazieren!


Kommentare

  1. Kommentar von Heinz Wimpissinger

    Lieber Emil,

    Selbst im Schatten der Schattenburg in Feldkirch geboren, sind solche Geschichtsdetails einer heimatlichen Umgebung eine wunderbare Gefühlsvermittlung für einen Neu-Klosterneuburger, der aber wohl immer auch ein Vorarlberger bleiben wird. Offensichtlich haben auch bei Dir die Besuchserlebnisse Wurzeln berührt, die wert sind zu entdecken. Gratuliere zu den wunderbaren Bildern und Deine nach wie vor makellosen deutschen Formulierungen. In Verbundenheit

    Heinz

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